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Falkentaler Steig 16

Falkentaler Steig 16

Ehemals: Albertstraße 10, Reinickendorf
Hermsdorf mit der Kreuzritterbrücke (heute: Bahnbrücke), 1922, Fotograf:in unbekannt. Quelle: Sammlung Ralf Schmiedecke, Berlin
Das Haus im Reinickendorfer Ortsteil Hermsdorf gehörte der Jüdischen Gemeinde. Es war eines der wenigen Berliner Häuser mit Zwangswohnungen, in dem bis auf eine nichtjüdische Ehefrau ausschließlich jüdische Menschen lebten. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde deportiert und ermordet.

Das Haus wurde 1926 erbaut. Im gleichen Jahr übernahm der „Frauenverein von 1833“ das Gebäude und richtete ein jüdisches Waisenheim für Mädchen ein. 1930/31 wurde es umbenannt in „Jüdisches Kinder- und Jugendheim Hermsdorf“. Ab 1935 wurde das Haus als Wohnhaus genutzt. Im Erdgeschoss wurde ein Betsaal eingebaut. Nun konnte das Gebäude als Synagoge des „Jüdischen Religionsvereins der nördlichen Vororte“ genutzt werden. Ab 1936 übernahm die Jüdische Gemeinde Berlin das Haus. Als ab 1939 der Bedarf an Wohnraum für Jüdinnen:Juden stieg, wandelte die Jüdische Gemeinde den Betsaal wieder in eine Wohnung um. Am 1. November 1942 musste sie das Grundstück an die Reichshauptstadt verkaufen. Das Haus hatte drei Wohnungen. Dort lebten zwischen 1939 und 1943 insgesamt 27 jüdische Menschen. Zehn von ihnen waren zwangsweise in das Haus gezogen. 16 der jüdischen Bewohner:innen wurden von dieser Adresse deportiert.

Wohnungen

Erdgeschoss

EG
Wohnung Latte

Im August 1939 zog Familie Latte in die große 5-Zimmer-Wohnung. Vermutlich waren sie die ersten Bewohner:innen, nachdem der Betsaal wieder zu einer Wohnung umgebaut worden war.

Paul Latte war Fischhändler in Pankow. Mit ihm wohnten seine Frau Selma und seine Schwester Henriette. Die Schwestern von Selma Latte wohnten mit ihren Männern im ersten Obergeschoss des Hauses. Es ist zu vermuten, dass es in dieser Wohnung weitere Untermieter:innen gab.

Am 13. Januar 1943 deportierte die Schutzstaffel (SS) Paul und Selma Latte ins Ghetto Theresienstadt. Nur einen Tag später wurde auch Henriette Willheim, geb. Latte, nach Theresienstadt deportiert

1. Obergeschoss

1.OG
Wohnung Broh

In der 5-Zimmer-Wohnung im ersten Obergeschoss wohnten seit 1937 das Ehepaar Ephraim und Rosa Broh und das Ehepaar Adolf und Regina Broh. Ephraim und Adolf Broh waren Brüder, Rosa und Regina Broh, beide geb. Noah, Schwestern. Die vier waren 1937 zusammen aus Posen nach Berlin geflohen.

Rosa und Regina waren die Schwestern von Selma Latte, die 1939 mit ihrer Familie in das Erdgeschoss des Hauses zog.

Auch in der Wohnung der Brohs gab es sicher weitere jüdische Untermieter:innen. Die Ehepaare Broh wurden am 14. September 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert.

2. Obergeschoss

2.OG
Wohnung Wolff/Heimann

Im Dachgeschoss befand sich eine etwas kleinere Wohnung mit vier Zimmern. Ab 1936 führt das Berliner Adressbuch Alma und Marcus Wolff mit ihrer Tochter Marga unter dieser Anschrift.

1938 oder 1939 zog David Heimann mit in die Wohnung. Ob er das freiwillig oder zwangsweise tat, ist unklar. Seine Tochter Thekla Hirsch wohnte wohl auch mit in der Wohnung, bevor sie nach Großbritannien auswanderte. Nach dem Kriegsende übersiedelte sie nach Brasilien.

Touristenvisum von Thekla Sternberg für Brasilien, 1959. Quelle: Cartões de Imigração, Arquivo Nacional, Rio de Janeiro, Brasil

Die Wohnungen deportierter Juden:Jüdinnen wurden versiegelt und mussten vor einer neuen Vermietung freigegeben werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Mieten vom Oberfinanzpräsident aus dem eingezogenen Vermögen der deportierten jüdischen Bewohner:innen bezahlt.

Nachbarschaft

Im Ortsteil Hermsdorf lag das Zentrum jüdischen Lebens in Reinickendorf. Das erklärt, dass sich gerade hier ein Haus befand, in dem nur jüdische Mieter:innen wohnten.

Gedenktafel am Haus Falkentaler Steig 16. Quelle: OTFW, Berlin – Eigenes Werk, CC BY-SA 3

Anders als in den bürgerlichen Bezirken im Zentrum und im Süden Berlins, waren die jüdischen Bürger:innen in Berlin-Reinickendorf schon immer eine deutliche Minderheit gewesen. 1933 wurden dort 1.115 Menschen jüdischen Glaubens gezählt. Das waren ungefähr 0,7 Prozent der jüdischen Bevölkerung Berlins. Daher war es in diesem Stadtbezirk für die Behörden auch einfacher, jüdische und nichtjüdische Bewohner:innen voneinander zu trennen.

Autorin

Johanna A. Kühne

In Gedenken an die jüdischen Bewohner:innen der Albertstraße 10

Rosalie Arons, geb. Salomons

11.2.1871 in Magdeburg
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 30.11.1944

Selma Beck, geb. Jacobi

1.12.1869 in Bydgoszcz
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 2.10.1942

Adolf Broh

14.7.1872 oder 14.8.1872 in Schrimm (Śrem)
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 16.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Ephraim Broh

20.8.1866 in Schrimm (Śrem)
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 16.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Regina Broh, geb. Noah

9.12.1877 in Mosina
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 16.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Rosa Broh, geb. Noah

12.3.1868 in Mosina
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 16.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Harry Gabriel

6.12.1927 in Berlin
Inhaftiert in Berlin, Deportation am 24.-26.9.1942 nach Raasiku, Flucht aus dem Deportationszug in die Schweiz, später Emigration nach Israel

Wally Gramsch, geb. Rogasinski

19.7.1894 in Berlin
Wohnort und Lebensdaten aus Volkszählung 1939 bekannt, weiterer Verbleib unklar

Helene Gregory, geb. Blankenstein

28.7.1857 in Hagen
Verstorben am 16.3.1940 in Berlin

David Heimann

12.3.1864 in Festenberg (Twardogóra)
Deportation am 11.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Hans Kirchner

1.8.1924 in Berlin
Wohnort und Lebensdaten aus Volkszählung 1939 bekannt, weiterer Verbleib unklar

Helene Kirchner, geb. Rogasinski

20.9.1889 in Berlin
Wohnort und Lebensdaten aus Volkszählung 1939 bekannt, weiterer Verbleib unklar

Paul Latte

2.10.1878 in Bydgoszcz
Deportation am 13.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 24.1.1943

Salmia/Selma Latte, geb. Noah

21.6.1876 in Mosina
Deportiert am 13.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 16.7.1943

Martha Löwenstein, geb. Noah

26.6.1872 in Mosina
Verstorben am 22.9.1942 in Berlin

Bertha Noerdlinger

13.3.1879 in Namslau (Namysłów)
Deportation am 11.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet

Emma Pinner, geb. Simonsohn

3.11.1879 in Jerichow (Sachsen)
Deportation am 14.12.1942 nach Auschwitz, dort ermordet

Paul Pinner

19.10.1875 in Berlin
Verstorben am 4.4.1943 in Berlin

Walter Pinner

3.6.1905 in Berlin
Wohnort und Lebensdaten aus Volkszählung 1939 bekannt, weiterer Verbleib unklar

Willy Redlich

16.2.1887 in Beeskow
Wegen nichtjüdischer Ehefrau vermutlich nicht deportiert

Thekla Sternberg, geb. Heimann, gesch. Hirsch

4.6.1895 in Güsen
Flucht nach Großbritannien
Überlebte

Selma Tichauer

20.12.1879 in Wodzisław
Wohnort und Lebensdaten aus Volkszählung 1939 bekannt, weiterer Verbleib unklar

Henriette Gertrude Willheim, geb. Latte

5.3.1874 in Bydoszcz
Deportation am 14.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 31.1.1943

Alma Wolff, geb. Manneberg

9.11.1881 in Wodzisław
Deportation am 24.-26.9.1942 nach Raasiku, ermordet

Marcus Wolff

19.3.1878 in Lwówek
Deportation am 24.-26.9.1942 nach Raasiku, ermordet

Marga Wolff

9.1.1921 in Berlin
Wohnort und Lebensdaten aus Volkszählung 1939 bekannt, weiterer Verbleib unklar

Jüdische Bevölkerung in Berlin

Im Ortsteil Hermsdorf lebten während der Zeit des Nationalsozialismus wenige Juden:Jüdinnen. In welchen Bezirken Berlins es viel jüdisches Leben gab, können Sie hier erfahren.

Zum Kontext