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Platanenstr. 114

Platanenstr. 114

Pankow, Heute Sitz der Kaspar Hauser Stiftung
Platanenstraße 114, 1990er Jahre, Fotograf:in unbekannt. Quelle: Museum Pankow
Die Platanenstraße 114 liegt am nördlichen Ende von Pankow, etwa einen Kilometer vom Schloss Schönhausen und seinem Park entfernt. Mindestens 19 Juden:Jüdinnen lebten hier – auch der Hausbesitzer und seine Familie. 15 der Bewohner:innen wurden von dieser Adresse aus deportiert und ermordet. Das Haus ist eines der wenigen Beispiele in Berlin, bei denen ein ganzes Haus zur Zwangsunterbringung genutzt wurde.

Die Vorstadtvilla mit acht Zimmern im Pankower Ortsteil Niederschönhausen gehörte dem Kaufmann Georg Herrmann, der in der Nähe eine Eisen- und Maschinenfabrik betrieb. Nachdem das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ im Mai 1939 in Kraft getreten war, wurden im Haus jüdische Mieter:innen untergebracht.

Am 25. Januar 1943, einige Monate nachdem Georg Herrmann nach Riga deportiert worden war, zog das Deutsche Reich die Villa ein. Wenige Monate später wurde sie vom Büro des Berliner Bürgermeisters für angeblich „kriegswichtige Zwecke“ beschlagnahmt. Im Dezember 1943 wurde die Villa durch Luftangriffe so schwer beschädigt, dass sie danach unbewohnt leer stand. Später nutzte sie die lokale Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP).

„… Beschlagnahme ich hierdurch die in dem Hause Berlin-Pankow, Platanenstraße Nr. 114 befindliche Wohnung des bisherigen jüdischen Mieters Herrmann, die auf behördliche Anordnung für kriegswichtige Zwecke geräumt worden ist …“

Bericht über die Absicht, die Platanenstraße 114 für die Ortsgruppe der NSDAP zu nutzen, 13. Dezember 1943. Quelle: BLHA, Rep. 36A (II) Nr. 37602

Wohnungen

1. Obergeschoss

1.OG
Wohnung Herrmann

Georg Herrmann war der Besitzer einer Eisen- und Maschinenfabrik in der Buchholzer Straße 62–65. Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte und bezog er die Villa in der Platanenstraße 114 mit seiner Familie. Im Jahr 1920 war er noch als Bewohner der Platanenstraße 67 registriert. Ab Mai 1939 begann Georg Herrmann, Zimmer der Villa an jüdische Mieter:innen zu vergeben. Laut seiner kurz vor der Deportation ausgefüllten Vermögenserklärung lebte Georg Herrmann mit seiner Frau Rosa, geb. Wolff, der gemeinsamen Tochter Ruth und seiner Schwester Erna Herrmann zusammen. Dazu gehörte Rosa Herrmanns Mutter Therese Wolff, geb. Moy, zum Haushalt. Therese Wolff war die Erste der Familie, die deportiert wurde. Sie wurde am 14. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt verschleppt. Einen Monat später kam sie ums Leben. Georg, Rosa, Ruth und Erna Herrmann wurden am 19. Oktober 1942 nach Riga deportiert, wo sie direkt nach der Ankunft ermordet wurden.

Wohnung Marx

Am 8. April 1940 zogen Moritz und Johanna Marx, geb. Catz, in ein teilmöbliertes Zimmer im ersten Obergeschoss der Villa. Das Paar kam aus der Oranienstraße 121 im Bezirk Kreuzberg und musste nun weit entfernt von seiner gewohnten Umgebung leben. Moritz Marx hatte in der Oranienstraße 122 eine Textilmusterfirma betrieben, bis diese 1939 im Zuge der antisemitischen Wirtschaftspolitik aus dem Handelsregister gelöscht wurde. Knapp zwei Jahre nach dem Einzug in die Platanenstraße wurde das Ehepaar am 19. Januar 1942 nach Riga deportiert, wo beide ermordet wurden.

2. Obergeschoss

2.OG
Wohnung Berwin

Im zweiten Obergeschoss des Hauses mietete die Familie Berwin ab 1939 zwei Zimmer. Ernst Berwin, seine Frau Katharina, geb. Goldberg, und ihre Kinder Barbara und Alexander waren aus ihrer Wohnung in der Parkstraße 27 in Pankow vertrieben worden. Die gesamte Familie wurde zusammen mit den Herrmanns aus dem ersten Obergeschoss am 19. Oktober 1942 nach Riga deportiert. Dort wurden Ernst, Katharina und Barbara Berwin direkt nach ihrer Ankunft ermordet. Der 16-jährige Alexander Berwin wurde erst in das Ghetto Kowno und am 1. August 1944 in das KZ Dachau verschleppt, wo er am 11. Januar 1945 ermordet wurde.

Stolpersteine für Alexander, Barbara, Ernst und Katharina Berwin, geb. Goldberg, vor ihrer alten Adresse in der Parkstraße 27 (heute Nr. 60). Quelle: Stolpersteingruppe Pankow

Keller

K
Wohnung Studinski

Zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Mai 1939 bezogen Aron Arthur Studinski und seine Frau Fanny, geb. Salomon, eine Wohnung im Keller der Platanenstraße 114. Zuvor hatten sie in der nahegelegenen Wackenbergstraße 61/65 gewohnt. Offenbar wurden die Studinskis als Hauptmieter:innen des Kellers gezwungen, weitere Untermieter:innen aufzunehmen: Leon Freier, der aus dem Hachschara-Lager Landwerk Steckelsdorf-Ausbau in Rathenow kam, und Julius Sommerfeld mit seiner nichtjüdische Ehefrau.

Leon Freier, Aufnahmedatum und Fotograf:in unbekannt. Quelle: Privatbesitz Familie Freier

Das Schicksal von Julius Sommerfeld und seiner Frau ist unbekannt. Leon Freier wurde in das KZ Stutthof deportiert. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit überlebte er. Aron und Fanny Studinski wurden nach Riga deportiert und direkt nach ihrer Ankunft am 22. Oktober 1942 ermordet.

Unbekannte Wohnungslage

Wohnung Isaacsohn/Isoldt

Zwei unmöblierte Zimmer wurden an Bernhard Isaacsohn, seine Frau Helene, geb. Simonsohn, und ihre erwachsenen Töchter Lilli und Lotte Isoldt vermietet. Die Familie war wahrscheinlich am 20. Juni 1941 gemeinsam aus der Nelkenstraße 1 in Lichterfelde hierhergezogen. Bernhard und Helene Isaacsohn wurden am 2. Februar 1943 aus dem Jüdischen Krankenhaus in der Auguststraße, das ab 1941 von der Gestapo als Sammellager für alte und kranke jüdische Personen genutzt wurde, deportiert. Bernhard Isaacsohn kam unmittelbar nach der Ankunft am 7. Februar 1943 im Ghetto Theresienstadt ums Leben, Helene Isaacsohn kurz danach am 25. Februar 1943. Lilli und Lotte Isoldt wurden beide nach Riga deportiert und direkt nach ihrer Ankunft am 8. September 1942 ermordet.

Wohnung Leroi

In seiner Vermögenserklärung schrieb Georg Herrmann, dass er an eine „Frau Dr. Helene Sara Leroi“ für 30 Reichsmark im Monat untervermiete. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser Untermieterin um dieselbe Dr. Helene Leroi, geb. Fürst, die im Mai 1939 noch in der nahegelegenen Waldstraße 50 gemeldet war. Sie hatte 1922 in Staatswissenschaften promoviert. Zwischen 1939 und 1942 wurde sie zur Zwangsarbeit verpflichtet. Als Helene Leroi ihren Deportationsbescheid erhielt, bot ihr ihre Bekannte Stephanie Hüllenhagen, geb. Kaiser, an, sie zu verstecken. Im Januar 1943 zog Helene Leroi in Stephanie Hüllenhagens 1-Zimmer-Wohnung in der Bellermannstraße 14 im Bezirk Wedding. Besonders gefährlich war die Situation für die Frauen dadurch, dass sie die Gemeinschaftstoilette auf dem Flur benutzen mussten. Das machte ein Verstecken vor den anderen Hausbewohner:innen praktisch unmöglich. Aber Helene Leroi wurde nicht denunziert und überlebte die nationalsozialistische Verfolgung. Später sagte Stephanie Hüllenhagen: „Ich dachte immer, du bist mitschuldig, wenn du das alles geschehen lässt“ (Quelle: Aktives Museum, Mitgliederrundbrief Nr. 50, Dez. 2003, S. 6).

Bismarckplatz (heute Pastor-Niemöller-Platz) und Bismarckstraße in Niederschönhausen, um 1935, Fotograf:in unbekannt. In Blickrichtung der Kamera liegt die Waldstraße, von der die Platanenstraße abgeht. Quelle: Landesarchiv Berlin, F Rep. 251 Nr. 455
Blick vom Haus in den Brosepark, 15.3.1943.
Blick in den Brosepark, 15. März 1943, Fotograf:in unbekannt. Die Platanenstraße 114 liegt rund 200 Meter westlich vom Brosepark. Quelle: Museum Pankow, fa023418

Nachbarschaft

Das zum Bezirk Pankow gehörende Niederschönhausen war bekannt für seine Grün- und Naturflächen. Im Bezirk befanden sich auch zahlreiche Gesundheitszentren und Wohlfahrtseinrichtungen, darunter auch einige jüdische. Die Pläne des Generalbauinspektors der Reichshauptstadt Berlin (GBI), das Gebiet zu entwickeln, führten zum Zwangsverkauf vieler Grundstücke in jüdischem Besitz.

Autorin

Bethan Griffiths

In Gedenken an die jüdischen Bewohner:innen der Platanenstraße 114

Alexander Berwin

11.1.1926 in Berlin
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, weiter ins Ghetto Kowno, am 1.8.1944 ins KZ Dachau, ermordet am 11.1.1945

Barbara Berwin

1.7.1924 in Berlin
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Ernst Berwin

25.11.1892 in Naumburg
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Katharina Berwin, geb. Goldberg

27.12.1892 in Pankow
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Leon Freier

12.3.1921 in Leipzig
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, weiter am 1.10.1944 ins KZ Stutthof
Überlebte

Erna Herrmann

10.11.1884 in Rawitsch (Rawicz)
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Georg Herrmann

18.10.1886 in Rawitsch (Rawicz)
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Rosa Herrmann, geb. Wolff

8.12.1895 in Ascheberg
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Ruth Herrmann

27.10.1922 in Berlin
Deportation am 19.10.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 22.10.1942

Bernhard Isaacsohn

12.11.1859 in Gudwallen (Lwowskoje)
Deportation am 2.2.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 7.2.1943

Helene Isaacsohn, geb. Simonsohn

9.5.1865 in Rößel (Reszel)
Deportation am 2.2.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 25.2.1943

Lilli Isoldt

15.2.1893 in Berlin
Deportation am 5.9.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 8.9.1942

Lotte Isoldt

5.12.1895 in Berlin
Deportation am 5.9.1942 ins Ghetto Riga, ermordet am 8.9.1942

Helene Leroi

13.9.1894 in Hamburg
Überlebte

Johanna Marx, geb. Catz

30.3.1874 in Mainz
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, umgekommen

Moritz Marx

15.5.1871 in Maar bei Trier
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, umgekommen

Julius Sommerfeld

Geburtsdaten und Schicksal unbekannt

Therese Wolff, geb. Moy

28. Mai 1863 in Vreden/Ahaus
Deportation am 14.9.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 10. Dezember 1942

Beschlagnahmung von Gebäuden

Mehr zur Zusammenarbeit des Oberbürgermeisters der Reichshauptstadt Berlin mit dem Oberfinanzpräsidenten ist im Kontext zu erfahren.

Zum Kontext, Kapitel Akteure