Bitte bedenken Sie, dass ein veralteter Browser möglicherweise nicht alle Funktionen unserer Webseite unterstützt – eine Aktualisierung könnte hilfreich sein.

Passauer Str. 5

Passauer Str. 5

Tempelhof-Schöneberg, Heute befindet sich auf dem Grundstück eine Seniorenresidenz
Blick in die Passauer Straße von der Augsburger Straße, 1905, Fotograf:in unbekannt. Quelle: Sammlung Ralf Schmiedecke, Berlin
Mindestens 17 Jüdinnen:Juden lebten zwangsweise in den Wohnungen des Gründerzeithauses in der Seitenstraße des Kurfürstendamms nahe dem KaDeWe. Die meisten jüdischen Bewohner:innen wurden deportiert und ermordet. In dem Haus wohnten viele Angehörige der Eigentümerfamilie Zucker beziehungsweise mussten dort wohnen.

Das großzügige, fünfgeschossige Mietshaus war 1895/96 errichtet worden. 1898 erwarb der Kaufmann Heinrich Baruch Zucker die Immobilie. Er war verheiratet mit Minna Altmann. Während die drei Töchter des Paares, Selma, Gertrud und Margarete, mit im Haus der Eltern lebten, wohnten die drei Söhne, Franz, Hermann und Max, nicht dauerhaft in der Passauer Straße. Die vierte Tochter Eva zog 1932 mit ihrem Ehemann Alfons Kemper ebenfalls in die Passauer Straße.

Nach dem Tod der Eltern wurden im Jahr 1922 die vier Schwestern in das Grundbuch eingetragen. Sie erbten außerdem eine Aktie des Zoologischen Gartens in Berlin, die ihnen jederzeit Zutritt zum dem beliebten Berliner Ausflugsziel ermöglichte. Ab 1933 mussten sie Hypotheken für das Haus aufnehmen. Nur so konnten sie verschiedene Zwangszahlungen erfüllen, die der NS-Staat als sogenannte Sühneleistungen von ihnen forderte. Am 7. Februar 1944 erhielt das Grundbuchamt einen Umschreibungsantrag vom Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg: Das Haus in der Passauer Straße 5 und das übrige Vermögen der Schwestern gehöre nun dem Staat, da die „Jüdinnen abgeschoben“ seien.

Zum Kriegsende 1945 war die Passauer Straße 5 ein Ruinengrundstück. Der einzige überlebende Angehörige der Familie, Hermann Zucker, stellte 1949 bei den Wiedergutmachungsämtern einen Restitutionsantrag für das Grundstück seiner Familie. Er lebte seit 1940 in England, verstarb jedoch am 7. April 1950 – infolge der seelischen Belastungen durch die NS-Zeit, wie es in den Akten der Entschädigungsanträge beschrieben wird.

Fortan führte seine Witwe Anna Amanda Sophie Zucker das Entschädigungsverfahren fort. 1950 sprach ihr die Wiedergutmachungskammer das Grundstück zu. Es hatte durch die Bombenschäden erheblich an Wert verloren, 1952 erfolgte die Abräumung des Grundstücks.

Bauzeichnung des Neubaus Passauer Straße 5, 1895. Quelle: Bauaktenarchiv Tempelhof-Schöneberg

Wohnungen

Vorderhaus, 1. Obergeschoss

1.OG
Wohnung Kempner

Das Ehepaar Eva und Alfons Kempner bewohnte seit 1932 eine 5-Zimmer-Wohnung im ersten Stock des Vorderhauses. Eva Kempner, geb. Zucker, war als eine der vier Zucker-Schwestern Miteigentümerin des Wohnhauses in der Passauer Straße 5. Ihr Ehemann, Dr. med. Alfons Eduard Moritz Kempner, war Regierungsmedizinalrat und Arzt für Nerven- und innere Leiden. Er gehörte der evangelischen Konfession an. Da er mit einer Jüdin verheiratet war und einen jüdischen Vater hatte, wurde er im Nationalsozialismus dennoch als Jude verfolgt. Am 14. Juni 1937 wurde Alfons Kempner die Zulassung als Arzt entzogen. Danach konnte er nur noch als sogenannter Krankenbehandler jüdische Patient:innen versorgen. Anfang der 1940er Jahre bewohnte das Paar nur noch zwei Zimmer. Sie mussten sich die Wohnung nun mit Eva Kempners drei Schwestern Gertrud, Margarete und Selma Zucker teilen, die zuvor in der zweiten Etage gewohnt hatten. Die Schwestern mussten Zwangsarbeit leisten.

Für kurze Zeit lebte auch der Jurist Dr. Franz Kemper, der Bruder von Alfons, mit in der Wohnung. Er hatte in der Weimarer Republik als Staatsbeamter gearbeitet und engagierte sich nun aktiv im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Er wurde nach dem Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli verhaftet, angeklagt und wegen Hochverrats am 5. März 1945 hingerichtet. Alfons und Eva Kempner wurden nach Theresienstadt deportiert, wo Alfons Kempner am 11. November 1942 ums Leben kam. Eva Kempner wurde am 23. Januar 1943 weiter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihre Schwestern Gertrud, Margarete und Selma wurden im März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ein Zimmer in der Wohnung der Kempners bewohnte ein Musikstudent. Heinz Martin Hagelberg spielte Klarinette und Saxophon. Er lebte zunächst bei seinen Verwandten Georg und Helene Rosenstock in der Yorckstraße 60 und danach zwangsweise in der Passauer Straße 5. Am 26. Juni 1942 wurde Heinz Hagelberg nach Maly Trostinez bei Minsk deportiert und dort ermordet.

Vorderhaus, 3. Obergeschoss

3.OG
Wohnung Lichtenstaedt

Im dritten Stock des Vorderhauses befand sich die Wohnung von Alfred Lichtenstaedt, der selbst aber nicht dort wohnte. Die Lichtenstaedts waren mit der Familie Kempner verwandt. Alfred Lichtensteadt wurde als Jude verfolgt, überlebte aber mit seiner Ehefrau die Verfolgungen.

1939 zogen die Eheleute Minna und Siegbert Salomon Just zur Untermiete in ein teilmöbliertes Zimmer in die Wohnung ein. Zuvor hatten sie in der Neuen Bayreuther Straße 3 gelebt. Ihre Tochter Gerda Lisalotta konnten sie im gleichen Jahr mit einem Kindertransport nach Großbritannien schicken und sie auf diese Weise retten. Minna Just musste bei der Siemens-Schuckertwerke AG in Siemensstadt Zwangsarbeit leisten. Siegbert Just war Zwangsarbeiter bei der Schmidt & Co. GmbH im Wedding. Anfang März 1943 wurde das Paar getrennt und in zwei verschiedenen Transporten nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihre Möbel und Bekleidung verkaufte der NS-Staat für 1024,20 Reichsmark.

Auch der am 9. Dezember 1922 geborene Gerhard Priebatsch wohnte zwangsweise zur Untermiete in Alfred Lichtenstaedts Wohnung. Bis zur Deportation seiner Eltern Dr. Walter Priebatsch und Rosa Priebatsch, geb. Kassel, im Oktober 1942 hatte die Familie in der Potsdamer Straße 115 gelebt. Am 6. März 1943 wurde Gerhard Priebatsch nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

In der Lichtenstaedt-Wohnung lebte auch Stefanie Kolodzinsky. 1939 lebte sie noch mit ihrer Mutter Margarethe, geb. Kirstein in der Babelsberger Straße 47 im Gartenhaus im ersten Stock. Margrethe Kolodzinsky starb am 22. September 1940 und ihre 16-jährige Tochter lebte vor ihrer Deportation in der Passauer Straße 5. Sie musste, wie auch Minna Just, Zwangsarbeit bei der Firma Siemens-Schuckert, Gartenfeld verrichten. Am 21. Januar 1944 wurde Stefanie Kolodzinsky nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde sie am 19. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz verschleppt, wo sie ermordet wurde.

Deportationsliste mit dem Namen von Stefanie Kolodzinsky und der Adresse in der Passauer Straße 5. Quelle: Deportationsliste 100. Alterstransport, 1.2.1/127213195/ITS Digital Archive, Arolsen Archives

Ein weiteres Zimmer bewohnte Siegfried Rehbock, bis er am 3. März 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Seiner Schwester Martha Westheimer, geb. Rehbock, gelang es, zusammen mit ihrem Mann Alexander und ihrem Sohn Horst in die USA zu fliehen.

Karteikarte der Jüdischen Kultusvereinigung Berlin zur Auswanderung in die USA für Alexander und Martha Westheimer, geb. Rehbock, und ihren Sohn Horst, 1941. Quelle: 1.2.4/12678492/ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Abmeldung Horst Westheimer, 21. Februar 1941. Quelle: 1.2.4/12678493/ITS Digital Archive, Arolsen Archives

Die Untermieter:innen Gertrud und Alfred Schlesinger lebten 1939 noch in der Eisenacher Straße 59. Dann mussten sie auch in die Passauer Straße 5 ziehen. Am 2. April 1942 wurde das Ehepaar in das Warschauer Ghetto und von dort nach Trawniki deportiert, wo beide ermordet wurden.

Ladengeschäfte

Im Erdgeschoss des Vorderhauses führten Max und Wally Blaustein die Parfümhandlung Max Blaustein Parfum-Import. 1937 emigrierten die Blausteins zunächst nach Prag, dann nach Paris und New York. Ihre Parfümhandlung übernahm ein Nichtjude. Ebenfalls im Erdgeschoss betrieb der Kaufmann John Landau seit den 1920er Jahren eine Konditorei und ein Café. Nach seiner Verhaftung und Inhaftierung im Konzentrationslager Sachsenhausen gelang es seiner Frau Luise im August 1939, die gemeinsame Ausreise nach Shanghai zu organisieren. Im zweiten Stock des Vorderhauses hatte der Arzt Alfred Bruck seit 1923 seine Praxis. Nach dem Machtantritt der Nazis gab er sie aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933 auf.

  • 1/2

Nachbarschaft

Bekannt ist, dass eine Nachbarin Interesse an der Wohnungseinrichtung des deportierten Ehepaars Kempners hatte. Sie und weitere Interessent:innen, wie ein SS-Untersturmführer aus Zehlendorf, kauften Teile der „Judenmöbel Kempner“, wie es herablassend im Laufe einer Auseinandersetzung um einen Teil des Inventars hieß.

Einen Eindruck über die weitere jüdische Nachbarschaft im Bezirk Tempelhof-Schöneberg bietet die ständige Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ im Rathaus Schöneberg.

Autorin

Katharina Kretzschmar

In Gedenken an die jüdischen Bewohner:innen der Passauer Straße 5

Evelyn Blaustein

29.8.1928 in Berlin
Flucht in die USA 1941
Überlebte

Max Blaustein

7.1.1896 in Posen (Poznań)
Flucht in die USA 1941
Überlebte

Wally Blaustein, geb. Baruch

31.5.1898 in Berlin
Flucht in die USA 1941
Überlebte

Heinz Martin Hagelberg

12.1.1925 in Chemnitz
Deportation am 26.6.1942 ins Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk, ermordet

Marcus Herbert

5.7.1906 in Hamburg
Vermutlich gelang die Flucht in die USA 1941

Gerda Lisalotta Just

30.12.1922 in Crossen (Oder)
Kindertransport nach England 1939
Überlebte

Minna Elisabeth Just, geb. Rosenbaum

27.11.1895 in Crossen (Oder)
Deportation am 1.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Siegbert Salomon Just

1.12.1888 in Crossen (Oder)
Deportation am 2.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Dr. Alfons Eduard Moritz Kempner

8.9.1878 in Bydgoszcz
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 11.11.1942

Eva Kempner, geb. Zucker

31.8.1886 in Berlin
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 23.1.1943 nach Auschwitz, ermordet

Stefanie Kolodzinsky

15.12.1924 in Berlin
Deportation am 21.1.1944 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen

John Landau

7.2.1879 in Berlin
Inhaftierung im KZ Sachsenhausen 18.6.1938–12.8.1939
Flucht nach Shanghai
Überlebte

Gerhard Priebatsch

9.12.1922 in Berlin
Deportation am 6.3.1943 nach Auschwitz-Monowitz, für tot erklärt

Siegfried Rehbock

18.6.1884 in Gehaus (Sachsen)
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz-Birkenau, ermordet

Alfred Schlesinger

3.8.1881 in Görlitz
Deportation am 2.4.1942 ins Ghetto Warschau, weiter ins Arbeitslager Trawniki, umgekommen

Gertrud Schlesinger, geb. Horwitz

18.6.1895 in Jauer (Schlesien)
Deportation am 2.4.1942 ins Ghetto Warschau, weiter ins Arbeitslager Trawniki, umgekommen

Bertha Teppich, geb. Wolffberg

11.12.1887 in Stolpe
Flucht am 11.12.1939 nach Argentinien
Überlebte

Alexander Westheimer

12.10.1880 in Schluchtern
Flucht in die USA 1942
Überlebte

Horst Westheimer

23.1.1927 in Berlin
Flucht in die USA 1942 
Überlebte

Marta/Martha Westheimer, geb. Rehbock

21.1.1889 in Gehaus (Sachsen)
Flucht in die USA 1942
Überlebte

Gertrud Zucker

4.8.1896 in Berlin
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Margarete Zucker

23.3.1889 in Berlin
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz, ermordet

Sara Selma Zucker

27.7.1883 in Berlin
Deportation am 3.3.1943 nach Auschwitz, ermordet