Schlüterstr. 54
Schlüterstr. 54
Das Haus mit zwölf Mietparteien gehörte der als jüdisch geltenden Grete Bilgrey, geb. Swaap, die zu einem unbekannten Zeitpunkt vor 1939 in die Niederlande auswanderte.
Besonders viele jüdische Menschen lebten in der Pension Phiebig. Sie umfasste zwei Etagen, in denen nach 1939 Juden:Jüdinnen auch zwangsweise untergebracht waren. Bis etwa 1940 gab es eine weitere jüdische Pension im Haus, das Familienheim Schlesinger. Nach ihrer Schließung mussten die meisten Bewohner:innen in andere Häuser umziehen. Für sie war die Schlüterstraße 54 die letzte selbstgewählte Adresse. Daher liegen vor dem Haus 20 Stolpersteine, fast alle für ehemalige Bewohner:innen des Familienheims Schlesinger.
Wohnungen
Vorderhaus, 1. und 4. Obergeschoss
Pension Phiebig
Die Pension Phiebig wurde von Rosa Phiebig geführt. Im ersten Obergeschoss befanden sich acht und im vierten zehn Zimmer. Gertrud Abramczyk arbeitete als Mitarbeiterin in der Pension und bewohnte mit ihrem Mann Wilhelm zwei Zimmer im vierten Stock.

Nach 1939 wurden auch die Zimmer der Pension für Einweisungen jüdischer Mieter:innen benutzt. Die langjährige Bewohnerin Gertrud Friedländer schrieb am 18. November 1941 an ihren Neffen:
„Unsere Zimmer [wurden] wieder einmal besichtigt [von Mitarbeiter:innen der Wohnungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde Berlin] u. diesmal werden wir wohl Mitbewohner bekommen; das nimmt man heute nicht mehr so ungern in Kauf, wenn wir nur nicht fort müssen.“Zitat aus: Brief Gertrud Friedländer, 18. November 1941, BHLA, Rep. 36A (II) Nr. 10314
Die Tochter von Rosa Phiebig, Susan Phillips, wanderte 1939 nach England aus und berichtete später, dass ihre Mutter insgesamt 15 Zimmer an meist wohlhabende jüdische Pensionäre vermietet habe. Als sie Deutschland verließ, wohnten rund 18 Menschen in der Pension. Zwischen 1942 und 1943 wurden 27 Menschen aus der Pension deportiert. Nur sechs von ihnen waren unter 60 Jahren, die meisten älter.
Vorderhaus, 3. Obergeschoss
Wohnung Levi
Im dritten Obergeschoss mietete der urologische Chirurg Siegfried Levi am 16. April 1940 eine gut ausgestattete 5-Zimmer-Wohnung. Im Mietvertrag ist neben seiner Frau auch eine OP-Schwester als Bewohnerin genannt. Siegfried Levi nutzte die Räume der Wohnung auch als Praxis.
Wohnung Sachs
Eine andere Wohnung im dritten Obergeschoss wurde nach 1939 von Hans und Hedwig Sachs gemietet. Wann genau dies geschah und wie groß die Wohnung war, lässt sich nicht mehr herausfinden. 1939 wohnte das Ehepaar in Oranienburg. Ab Mai 1940 hatten sie eine Untermieterin: Johanna Isenthal hatte zuvor in der Windscheidstraße 34 gelebt und bewohnte beim Ehepaar Sachs ein halbes Zimmer.
Unbekannte Wohnungslage
Es gibt acht Personen, die aus der Schlüterstraße deportiert wurden, die keiner Wohnung zugeordnet werden können, da sie meist zur Untermiete wohnten.
Dr. Alexander und Else Cohn
Das Ehepaar Dr. Alexander und Else Cohn musste 1942 von der Schillerstraße 9 in Charlottenburg in die Schlüterstraße 54 umziehen. Hier mietete das Paar ein Leerzimmer. Ihr Umzug hing mit einer Räumungsaktion des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt (GBI), Albert Speer, zusammen.
Im Entschädigungsverfahren von Alexander Cohn schrieb sein Anwalt später: „Wie er [Alexander Cohn] erklärt hat, habe er in Berlin-Charlottenburg, Schillerstr. 9, eine 4 ½-Zimmer-Wohnung bewohnt, die er auf Grund der sogenannten ‚Speerkündigung‘ mit wenigen Tagen Frist im Mai 1942 habe räumen müssen.“
Zitat aus: Entschädigungsantrag Dr. Alexander Cohn, 4. März 1969, LABO Berlin, BEG-Akte, Reg.-Nr. 6 770, S. 3

Else und Alexander Cohn wurden am 28. Januar 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Beide überlebten.
Käte Binner, gesch. Klein, mit ihren Töchtern Ruth Klein und Juliane Binner
Käte Binner zog vermutlich nach der Inhaftierung ihres Ex-Mannes Martin Klein am 1. Januar 1938 in die Schlüterstraße. Sie galt als „jüdischer Mischling 1. Grades“ und ließ sich zum Schein von ihrem jüdischen Ehemann Martin Klein scheiden. Sie hoffte, sich und vor allem ihre Töchter so vor der Verfolgung der Nationalsozialisten schützen zu können. Die beiden wohnten auch nach der Scheidung gemeinsam in einer Wohnung am Kurfürstendamm 217. Käte Binner wurde gemeinsam mit ihren Kindern am 29. Januar 1943 deportiert. Bei der Deportation war Ruth Klein 13 Jahre und Juliane Binner acht Jahre alt. Alle drei wurden in Auschwitz ermordet.
Nachbarschaft
Neben den jüdischen Bewohner:innen lebten auch viele nichtjüdische Personen in der Schlüterstraße 54. Ab Ende 1942 nahmen die Deportationen aus dem Haus stark zu. Am 28. und 29. Januar 1943 wurden elf Personen auf einmal deportiert. An dieses Ereignis erinnerte sich die nichtjüdische Nachbarin Frieda Reimer:
„Das genaue Jahr kann ich nicht mehr angeben, aber ich vermute, daß es schon vor 1943 war. Ich kann mich an diesen Vorgang noch deswegen erinnern, weil ich ihn selbst erlebt habe. Ich kam an dem Abend von der Arbeit nach Hause und bemerkte bei Betreten des Hausflurs, daß sämtliche jüdische Hausbewohner, die mir zum Teil bekannt waren, im Hausflur warteten. Die meisten hatten kleines Handgepäck dabei. Sie waren bewacht; vermutlich von SS und warteten auf ihren Abtransport. Der Hauswart, ein gewisser Herr Burgau, machte mir Zeichen, daß ich weitergehen solle, als ich versuchte, mit den Kindern zu sprechen, die ebenfalls weggeschafft werden sollten.“
Zitat aus: Aussage Frieda Reimer, 24. Juli 1959, LABO Berlin, BEG-Akte Rosa Phiebig, Reg.-Nr. 276 150
Juliane Binner und Ruth Klein waren die einzigen Kinder, die aus dem Haus deportiert wurden. Ihr Deportationsdatum war (anders als in der Erinnerung der Nachbarin) der 29. Januar 1943.
Autorin
Johanna A. Kühne
Gertrud Abramczyk, geb. Arnheim
22.10.1877 in Berlin
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 30.10.1942
Wilhelm Abramczyk
9.7.1864 in Potsdam
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 19.12.1942
Fritz Behrens
31.3.1872 in Berlin
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 28.11.1942
Margarete Behrens, geb. Maass
9.11.1878 in Berlin
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, dort umgekommen
Hedwig Bernhard
23.7.1888 in Berlin
Suizid in Berlin am 26.2.1943
Elsbeth Bernstein, geb. Mollheim
5.9.1883 in Köthen
Flucht am 16.10.1942 nach Ecuador
Überlebte
Julius Bernstein
19.10.1879 in Wilczowo
Flucht am 16.10.1942 nach Ecuador
Überlebte
Juliane Binner
20.4.1934 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
Käte Binner, gesch. Klein
23.2.1903 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
Ester Blank, geb. Samter
26.6.1873 in Berlin
Deportation am 12.6.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 23.1.1943
Bianca Brasch, geb. Lazarus
25.10.1877 in Zempelburg (Sępólno)
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet im März 1943
Artur Brock
28.1.1874 in Berlin
Flucht am 1.10.1940 in die USA
Überlebte
Else Brock, geb. Hirsch
29.1.1880 in Berlin
Flucht am 1.10.1940 in die USA
Überlebte
Clara Bry, geb. Rosendorff
31.1.1887 in Usch (Ujście)
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, umgekommen am 5.2.1942
Leo Bry
20.1.1881 in Schrimm (Śrem)
Deportation am 19.1.1942 ins Ghetto Riga, umgekommen am 5.2.1942
Dr. Alexander Cohn
4.9.1876 in Königsberg (Kaliningrad)
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt
Überlebte, verstorben am 7.4.1951 in Berlin
Else Cohn, geb. Hiller
22.1.1885 in Königsberg (Kaliningrad)
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt
Überlebte
Frieda Cohn, geb. Müller
4.6.1878 in Berlin
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 16.6.1943
Samuel Cohn
1.4.1874 in Wünnenberg
Deportation am 28.1.1943 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 16.8.1943
Dagobert David Dannenbaum
4.2.1875 in Rimbeck
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 26.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet
Mathilde Dannenbaum, geb. Walter
20.11.1888 in Schlüchtern
Deportation am 30.7.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 26.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet
Walter Dannenbaum
10.9.1919 in Rimbeck
Deportation am 28.3.1942 ins Ghetto Piaski, dort umgekommen
Ida Elsbach, geb. Rosenberg
15.2.1871 in Hannover
Deportation am 17.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 29.8.1942
Gertrud Friedlaender/Friedländer, geb. Goldberger
30.4.1875 in Breslau (Wrocław)
Deportation am 2.4.1942 ins Ghetto Warschau, dort umgekommen
Emma Geiger, geb. Silberberg
2.3.1867 in Saarlautern
Flucht am 23.7.1941 in die USA
Überlebte
Salomo Samuel Goldstein
16.12.1866 Klein Silkow
Flucht am 15.3.1940 nach Norwegen, Suizid am 26.10.1942 in Oslo
Adolf Grünthal
5.12.1859 in Pless (Pszczyna)
Verstorben am 7.8.1941 in Berlin
Hermann Guttmann
3.6.1868 in Radostowitz (Radostowice)
Verstorben am 4.1.1943 in Berlin
Ernst Elieser Moses Heimann
25.12.1927 in Berlin
Deportation am 3.2.1943 nach Auschwitz, ermordet am 22.2.1943
Hans Heimann
31.3.1894 in Berlin
Inhaftierung am 26.11.1938 im KZ Sachsenhausen, Deportation am 3.2.1943 nach Auschwitz, ermordet
Johanna Isenthal
18.12.1889 in Halle/Saale
Deportation am 26.2.1943 nach Auschwitz, ermordet
Gertrud Jacoby, geb. Hirschfeld
13.2.1860 in Kulm (Chełmno)
Auf der Residentenliste und in der Volkszählung zu finden, weiterer Verbleib unklar
Gertrud Katzenstein, geb. Michalsky
20.8.1866 in Graudenz (Grudziądz)
Deportation am 17.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 2.9.1942
Ruth Klein
31.7.1929 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
Charlotte Levi, geb. Israel
25.7.1884 in Berlin
Deportation am 16.12.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 9.10.1944 nach Auschwitz, ermordet
Dr. Siegfried Levi
2.3.1877 in Berlin
Deportation am 16.12.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 21.2.1944
Olga Liepmann, geb. Mendelsohn
22.12.1863 in Hamburg
Flucht am 27.8.1939 nach Großbritannien
Überlebte
Marie Lion, geb. Stern
8.8.1865 in Berlin
Deportation am 3.10.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 27.2.1943
Betty Marcus, geb. Cohn
3.10.1874 in Berlin
Deportation am 16.5.1944 nach Auschwitz, ermordet
Liselotte Meier, geb. Schlesinger
24.9.1909 in Berlin
Flucht 1938 in die USA
Überlebte
Elsbeth Ernestine Meyer, geb. Behrendt
10.6.1879 in Berlin
In der Volkszählung und Residentenliste zu finden, weiterer Verbleib unklar
Georg Meyer
22.1.1859 in Berlin
In der Volkszählung und Residentenliste zu finden, weiterer Verbleib unklar
Else Moser, geb. Pacully
13.4.1876 in Stettin (Szczecin)
Deportation am 2.4.1942 ins Ghetto Warschau, dort umgekommen
Rosa Phiebig, geb. Grunwald
12.12.1881 in Stolzenhagen
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
Otto Rathe
4.5.1875 in Berlin
Suizid am 1.4.1942 in Berlin
Paul Rathe
6.2.1873 in Berlin
Suizid am 1.4.1942 in Berlin
Margarethe Reichenberger, geb. Lesser
14.1.1876 in Berlin
Verstorben am 1.4.1942 in Berlin
Frieda Robert
10.8.1888 in Graudenz (Grudziadz)
Deportation am 24.9.-26.9.1942 nach Raasiku, ermordet
Fanny Rosenbaum, geb. Hant
11.11.1870 in Witten
Flucht am 23.7.1941 in die USA
Überlebte
Alfred Sachs
30.5.1871 in Leipzig
Deportation am 12.6.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 1.3.1943
Flora Sachs, geb. Gradenwitz
6.2.1879 in Breslau (Wrocław)
Deportation am 12.6.1942 ins Ghetto Theresienstadt, umgekommen am 14.3.1944
Hans Simon Sachs
18.11.1883 in Berlin
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
Hedwig Sachs, geb. Berju
3.5.1889 in Hamburg
Deportation am 29.1.1943 nach Auschwitz, ermordet
Gertrud Sackur, geb. Ambramczyk
22.3.1869 in Breslau (Wrocław)
Flucht am 11.11.1939 nach Argentinien
Überlebte
Adolf Selowsky
12.11.1868 in Grünberg
Deportation am 28.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet
Margarete Selowsky, geb. Friedländer
8.6.1878 in Breslau (Wrocław)
Deportation am 28.8.1942 ins Ghetto Theresienstadt, weiter am 29.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka, ermordet
Käthe Törkott, geb. Bremer
17.2.1898 in Berlin
Deportation am 14.12.1942 nach Auschwitz, ermordet am 3.1.1943
Carl Weigert
12.8.1860 in Breslau (Wrocław)
Verstorben am 21.3.1942 in Berlin